Das Gehör lässt sich nicht abschalten. Innerhalb von Sekundenbruchteilen lösen wenige Noten eines Songs, Bruchstücke eines Wortes Emotionen in uns aus. Auch Werbetreibende wissen um diese Kraft. Die erste Audio-Anzeige lief bereits 1922 im Radio. In diesem Jahrtausend sorgen neue Geräte und Technologien dafür, dass wir alle Arten von Audio-Content mobil und wann und wo wir wollen konsumieren können.
Ob Podcast, Radio per Internet, UKW oder DAB+, Streamingdienste, sprachgesteuerte Software oder Unternehmen, die Audio Branding für die eigene akustische Präsentation nutzen: Sprache und Audio-Content ist in unserem Alltag immer präsenter. Gute Zeiten für Storytelling und Marketing also. Doch welche Möglichkeiten gibt es für Werbetreibende, den Boom von Audio zu nutzen und ihre Zielgruppen noch stärker – im wahrsten Sinne des Wortes – anzusprechen?
Das ist der erste Teil der zweiteiligen Serie „Der neue Audio-Boom“. Im zweiten Teil sind die Themen unter anderem: Radio wird Audio, sprechende Werbung, Programmatic Audio und Audio Branding. Eine kurze Version des Artikels ist in der Printausgabe 5 / 2017 von LEAD digital, dem Fachmagazin für Digital Business, erschienen.
Das Podcast-Fieber
Als Spiegel Online im März 2017 den Podcast „Stimmenfang“ veröffentlichte, hatte niemand mit dem Erfolg gerechnet. Bereits der 90-Sekündige Trailer landete binnen 48 Stunden auf Platz 1 der Podcast-Charts bei iTunes. In den großen deutschen Verlagshäusern gehören Podcasts bisher nicht zum Repertoire. Matthias Streitz, Mitglied der Chefredaktion bei Spiegel Online und Editorial Chief in Product, verrät: „Wir haben schon lange mit einem Podcast geliebäugelt. Mit einem Podcast erreichen wir unser Publikum in einer ganz anderen Nutzungssituation, als Spiegel Online es kann, sei es mobil oder zum Beispiel zu Hause in der Küche. Deswegen ist für uns ist der gesamte Bereich Audio und Podcasts strategisch interessant.“ „Stimmenfang“ ist ein 15-minütiges Format und wird von einer Werbebotschaft begleitet, die zu Beginn von der Moderation eingesprochen wird. Bei weiteren Podcasts und längeren Formaten ist Spiegel Online offen für andere Arten der Werbeplatzierung an anderen Stellen.
In Deutschland gibt es Podcasts etwa seit 2004. Die Landschaft wird geprägt vom öffentlich-rechtlichen Radio, das durch Zweitverwertungen von Radiosendungen – noch – die iTunes-Charts dominiert. Dazu kommen Privatpersonen als Macher von Sendungen, die eine Bandbreite von gut recherchierten Special-Interest-Themen, über spannende Geschichten bis zu Interviewreihen abdecken. Sowohl die Länge des Podcasts als auch die Machart und Frequenz obliegen ausschließlich ihnen selbst. Und so gelten sie dann auch als „die letzte Bastion medialer Freiheit“ mit kompletter Selbstbestimmung. Diese Nischenthemen ziehen mehr oder minder stark an, von ein paar Tausend bis zu 100.000 Zuhörern erreichen die Privat-Podcaster. Re-Finanzierung über Werbung und Vermarktung spielen häufig nur eine geringe Rolle. Das wollen weder die Macher, noch die Hörer. Wobei freiwillige Spenden über Flattr und Patreon oder auch Amazon Affiliate oft akzeptiert werden. Für Werbetreibende auf der Suche nach Sponsoring-Möglichkeiten und Audio-Werbemöglichkeiten gibt es in diesem Umfeld keine bis wenig Möglichkeiten.
Storytelling und Snackable Content
Doch das ändert sich nun. Podcasts einer neuen, anderen Produzentengeneration bringen sich in Stellung. Es geht jetzt neben der privaten, subjektiven Sicht auch um professionelles Storytelling, um fiktionale oder journalistisch investigativ-recherchierte Geschichten. Der Blick nach Amerika zeigt, wohin die Reise gehen kann. Dort sind Formate wie der Krimi „Serial“ und der Nachfolger „S-Town“ so bekannt, wie Bewegtbild-Serien namens „Walking Dead“ oder „House of Cards“. Mehr als 16 Millionen Downloads in zehn Ländern innerhalb der ersten Woche nach Erscheinen zeigen das Potenzial. Die Entwicklungen in Deutschland laufen zeitversetzt, sind aber ebenfalls beachtlich: Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 konsumieren 7,5 Millionen Nutzer ab 14 Jahre in Deutschland Podcasts (13 Prozent), mehr als drei Mal so viel als 2012 (4 Prozent). Kein Wunder, denn Podcasts sind praktisch: Man hat sie immer dabei – über das Smartphone – und kann sie also überall hören, beim Sport, Kochen, im Bus. Es gibt Podcasts für fast alles, Tutorials, Geschichtswissen, Unterhaltung und über den Ort und Zeitpunkt des Hörens kann jeder dank Streaming selber entscheiden. Und so entstehen immer mehr neue Formate und Podcastlabels, die ihre Nutzer begeistern, wie die Podcasts des Berliner Stadtmagazins MitVergnügen, „Das kleine Fernsehballett“ von Stefan Niggemeier und Sarah Kuttner oder das Label Viertausendhertz und das Onlineradio detektor.fm, das alle Inhalte auch als Podcasts anbietet.
Keine Angst vor Werbung
Zu dem professionellen Storytelling kommt, dass die Berührungsängste mit Werbung und Vermarktung schwinden. Im November 2015 haben die Macher der Online Marketing Rockstars (OMR) um Philipp Westermeyer die OMR-Podcasts gestartet. Im September 2016 ist dann mit der Gründung von Podstars die erste Podcast-Vermarktungsgesellschaft in Deutschland dazu gekommen. Vincent Kittmann, Head of Podstars und ein Podcast-Fan der ersten Stunden, erklärt, wieso Werbung in Podcasts willkommen ist: „Dass Verständnis, dass Medien umsonst sind, kann zum Problem werden. Es gibt professionelle Podcasts mit zum Teil unfassbaren Hörerzahlen und die bieten auch Brands gute Umfelder für ihre Werbung. Ob Unterhaltungsformat oder Special Interest: Es kommt nicht ausschließlich auf die Reichweite an, die Nähe zur Zielgruppe kann viel wichtiger für die Marke sein.“ Möglichkeiten gibt es viele: von der Pre-, Mid- oder Post-Roll über einen Block von Mid-Rolls bis zu flexiblen individuell abgestimmten Integrationen der Werbung.
Passend zur Dynamik läuft die Distribution von Podcasts jetzt auch über mehrere Kanäle. Neben der Website der Podcastlabels oder –produzenten haben auch Streamingdienste wie Deezer (10 Millionen aktive User), Spotify (50 Millionen Subscriber) und Soundcloud (175 Millionen Besucher pro Monat) Podcasts. Die Streamingdienste bieten neben den werbefreien Abos auch eine werbefinanzierte Version ihres Angebots. Werbetreibende können dort Audio Ads, Display und verschiedene Sonderformate buchen.
Always On – Radio ist überall
Digitalisierung, Mobilität, Medienfragmentierung und daraus resultierend ein sich stetig änderndes Mediennutzungsverhalten. Nur Radio bleibt davon unberührt. Die Radioreichweiten in Deutschland liegen laut agma (Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse) bei 78,1 Prozent wochentäglich. „Radio ist ein Medium, dass von der Onlinekonkurrenz offenbar nicht betroffen ist. Audio-Inhalte laufen anscheinend immer gut. Und sie sind unaufwändig in der Verbreitung. Mit Online-Audio sind jetzt neue Wege dazu gekommen, die besonders in der Vermarktung eine treibende Rolle spielen“, konstatiert Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer von Goldmedia. Das Unternehmen erhebt jährlich für die Institutionen BLM, Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) und Verband Privater Rundfunk und Telemedien (vprt) die Studie „Webradiomonitor“. Hier werden Anbieter und Nutzer im Online-Audio-Markt befragt. „2016 haben wir zum ersten Mal mehr als 10.000 Audio-Angebote allein in Deutschland gezählt. Die onlinebasierte Radio- und Musiknutzung liegt jetzt bei 48 Prozent, bei den Jüngeren sind es sogar 60 Prozent, Tendenz steigend“, so Klaus Goldhammer weiter.
Die Themen des zweiten Teils der Serie „Der neue Audio-Boom“: Radio wird Audio, Programmatic goes Audio, Geräte sprechen – Werbung auch und Audio Branding.
Eine kürzere Version des Artikels ist in der Ausgabe 05/2017 von LEAD digital, dem Fachmagazin für Digital Business, erschienen.